„Es gibt eine brutale Instrumentalisierung des Begriffs New Work“

New Work verspricht selbstbestimmtes Arbeiten. Doch was passiert, wenn ein Management diese revolutionäre Idee nur zum Schein auf seine Fahnen schreibt oder sie von oben durchsetzt? Dann kann sie wiederum in Zwang münden und frustrierte Mitarbeitende hinterlassen. Im Gespräch erklärt Prof. Dr. Carsten C. Schermuly, wie die Umsetzung besser geht und welch zentrale Rolle Empowerment dabei spielt.

Herr Schermuly, wie sind Sie auf die Idee zu Ihrem neuen Buch „New Work Dystopia“ gekommen?

Ich habe zuerst eine Utopie geschrieben. Jetzt würde ich gerne sagen, dass das geplant war: Erst kommt die Utopie, dann die Dystopie. So war es jedoch nicht. Beide Sujets spiegeln in einer überzeichneten Form die Gegenwart und versuchen, das zu übertreiben, was in der Gegenwart beobachtbar ist. Die Utopie überzeichnet das dabei positiv und die Dystopie negativ. Stückweise möchte man dann auch auf Missverhältnisse hinweisen und die Gegenwart spiegeln. Und da hat sich nach der Verfassung der Utopie die Dystopie immer mehr aufgedrängt. Ich war zum Beispiel auf einer Konferenz, die sogar wie mein vorheriges Buch hieß, „New Work Utopia“, und doch ging es zum Schluss nur um offene Büroflächen und Homeoffice.

Gleichzeitig begegneten mir immer mehr Menschen, die keinen positiven Bezug zu New Work hatten. Das war für mich vollkommen neu, ich war da auch kurz erschrocken, weil ich mich seit so vielen Jahren damit beschäftige und immer dachte, dass New Work etwas sehr Positives ist, zumindest in seiner ursprünglichen Form von Frithjof Bergmann, aber auch in den Weiterentwicklungen des Empowerment-Konzepts. Da hat es mich schon überrascht, dass mir Leute gesagt haben: „Lass mich bitte mit diesem New-Work-Kram in Ruhe!“

Wie würden Sie es sich erklären, dass es eine Zunahme gibt von Menschen, die negative Erfahrungen gemacht zu haben scheinen?

Das liegt zum einen an der Banalisierung des Begriffs. Wir sehen immer recht gut auch in den Daten des „New Work-Barometers“, dass eine große Mehrheit der Personaler:innen in Deutschland New Work mit Homeoffice gleichsetzt. Dabei ist Homeoffice eine Methode, die Hunderte von Jahren alt ist. Bereits unsere Vorfahren haben von daheim gearbeitet. Zum anderen gibt es eine brutale Instrumentalisierung des Begriffs. Dabei wird er wie ein Schleifchen oder Geschenkpapier um Transformationsprozesse herumgewickelt.

In Wahrheit geht es beispielsweise jedoch um das Einsparen von Mietfläche bei Open-Space-Büros, das wird den Mitarbeitenden aber als New Work verkauft. Die Beschäftigten spüren das allerdings. Viele New-Work-Projekte scheitern zudem, weil man organisationspsychologisches Wissen nicht nutzt und weil New Work nur von der Methodenseite her gedacht wird. Manchmal passt eine Methode wie agile Projektarbeit zu einem Unternehmen und den Menschen, und manchmal passt sie gar nicht, und dann hat die Einführung auch negative Konsequenzen.

Porträtaufnahme von Carsten C. Schermuly

Im Gespräch mit Carsten C. Schermuly (Foto: Ivgenia Möbus)

Das beschreiben Sie im Buch gut anhand der fiktiven Firma Kaltenburg: Einzelne New-Work-Maßnahmen, die der Firmenchef woanders aufgeschnappt hat, werden im Unternehmen eingeführt, ohne zu prüfen, ob eine Maßnahme passt.

„Aufschnappen“ ist eine passende Formulierung, genau so funktioniert das bei den Kaltenburgern. Dort wird etwas aufgeschnappt, wie zum Beispiel die Verflachung von Hierarchien als New-Work-Maßnahme. Dann wird es auf Teufel komm raus umgesetzt und von der Unternehmensspitze durchgesetzt. Das hat allerdings katastrophale Folgen, weil die Kultur diese Maßnahmen gar nicht hergibt und sich die Effekte dadurch umkehren. Die Menschen leiden auf einmal unter New Work.

Da stellt sich mir die Frage: Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit New Work seine positiven Effekte entfalten kann?

Dazu gibt es mittlerweile organisationspsychologische Erkenntnisse. Wir wissen, dass sich zum Beispiel agile Projektarbeit besonders gut auswirkt und positive Konsequenzen hat, wenn tatsächlich eine Kultur für Empowerment existiert, wenn nicht eine autoritäre, sehr streng hierarchische, kontrollierende Kultur vorherrschend ist, sondern eine Kultur, die Selbstbestimmung, einflussreiche und kompetente Mitarbeitende sowie sinnhafte Aufgaben wertschätzt. Dann kann sich die agile Projektarbeit entfalten.

Die Kaltenburger haben allerdings eine sehr aggressive und kontrollierende Kultur. Das führt dazu, dass die sogenannten „Sprints“ der agilen Projektarbeit dazu genutzt werden, die Beschäftigten anzutreiben. Die „Reviews“, also die Treffen, werden zudem genutzt, um die Mitarbeitenden zu kontrollieren. Es wird ein agiles Theater gespielt. Doch die Facetten, die Teil der agilen Projektarbeit sind – die Autonomie, die ein agiles Team braucht, sowie die Gleichberechtigung im Team, das heißt dass keine Führungskräfte hineinregieren –, liegen bei den Kaltenburgern nicht vor. Das wären die kulturellen Voraussetzungen.

Auf der anderen Seite braucht es die persönlichen Voraussetzungen, das heißt Persönlichkeitsfaktoren, die Menschen mit in ein Unternehmen hineinbringen. Hier gibt es gewisse Persönlichkeitsfaktoren und Kompetenzen, die die – um im Beispiel zu bleiben – agile Projektarbeit erleichtern. Menschen, die viel Variabilität und unterschiedliche Situationen im Job wertschätzen, Menschen, die in Richtung „Sensation Seeking“ tendieren, haben es in solchen dynamischen Projektsituationen einfacher.

Bleiben wir beim Thema Selbstbestimmung. Ich war neulich in einer Pizzeria in Berlin-Neukölln, dort hing ein Schild: „Bei uns gibt es keinen Chef. Wir entscheiden alles im Team.“ Bei acht Beschäftigten mag das funktionieren, doch wie viel Selbstbestimmung ist in einem Unternehmen möglich, das beispielsweise 1.500 Angestellte hat?

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Wir sprachen mit:

Prof. Dr. Carsten C. Schermuly ist Diplom-Psychologe, Vizepräsident für Forschung und Transfer an der SRH Berlin University of Applied Sciences sowie Direktor des Institutes for New Work and Coaching. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören u. a. die Qualität von Personalauswahl- und Personalentwicklungsmaßnahmen sowie die psychologische Perspektive auf das Thema New Work (psychologisches Empowerment). 2021 wurde er vom Personalmagazin in die Gruppe der 40 führenden Köpfe im HR-Wesen gewählt. [Website // LinkedIn-Profil]

Literatur:

Schermuly, C. (2023). New Work Dystopia. Haufe: Freiburg.

Schermuly, C. & Meifert, M. (2022). Ergebnisbericht zum New Work-Barometer 2022. SRH Berlin University of Applied Sciences. Abgerufen von www.srh-berlin.de/hub/new-work/barometer

(Interview: Anja Wermann, Redaktion WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE aktuell)

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