Wie Unternehmen pflegende Beschäftigte unterstützen können

Pflegebedürftigkeit kommt häufig überraschend. Wie Unternehmen erwerbstätige pflegende Angehörige unterstützen können – und weshalb sich eine gute Vereinbarkeitsstrategie auch für Unternehmen selbst lohnt, erfahren Sie hier.

Beginnen wir mit ein paar Zahlen: In Deutschland waren Ende 2021 knapp fünf Millionen Menschen pflegebedürftig; die Zahl der Pflegebedürftigen hat sich damit gegenüber der Jahrtausendwende mehr als verdoppelt und wird laut Prognose des Statistischen Bundesamtes auch künftig weiter steigen (Radtke, 2023). 84 Prozent der pflegebedürftigen Menschen wurden 2021 zu Hause gepflegt, 63 Prozent überwiegend durch Angehörige (Destatis, 2023).

Schauen wir uns nun die erwerbstätigen pflegenden Angehörigen bzw. die pflegenden Beschäftigten genauer an: Etwa 2,5 Millionen Erwerbstätige pflegen Angehörige zu Hause (BMFSFJ, 2020). Auch die Anzahl der pflegenden Beschäftigten ist in den vergangenen Jahren gewachsen und auch dieser Trend wird sich in den nächsten Jahren mutmaßlich fortsetzen; die Gründe dafür liegen u. a. im Zusammenspiel aus demographischer Entwicklung, höheren Erwerbsquoten, einem späteren Renteneintritt der Beschäftigten und einem Mangel an professionell Pflegenden (Jacobs et al., 2021).

Warum sich eine Vereinbarkeitsstrategie auch für Unternehmen lohnt

Wie sieht es in Ihrem Unternehmen oder in Ihrer Abteilung aus? Kennen Sie Kolleg:innen, die Angehörige pflegen? Oder haben Sie selbst schon einmal gepflegt (oder tun dies aktuell)? Steht die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf in Ihrem Unternehmen bereits auf der Agenda? Das käme nicht nur den Beschäftigten zugute, denn von einer guten Vereinbarkeitsstrategie profitieren auch die Unternehmen selbst.

Laut BMFSFJ kommt es mit einer guten Strategie zu weniger Fehltagen und krankheitsbedingten Ausfällen, einer besseren Mitarbeiterbindung und weniger Fluktuation (mit all den damit verbundenen Kosten) – und auch bei der Gewinnung neuer Beschäftigter können Unternehmen punkten (BMFSFJ, 2021). Besonders eindrucksvoll schildert t3n-Redakteur Andreas Weck in einem LinkedIn-Beitrag, wie er die Unterstützung empfunden hat als es darauf ankam (Weck, 2022):

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„(…) Wir reden immer viel darüber, was Arbeitgebende zu zahlen haben, um Fachkräfte an sich zu binden, wie Mitarbeiterloyalität durch externe Motivationsfaktoren mit diesem oder jenem Benefit erkauft werden kann. Stimmt schon alles. Als Arbeitnehmer*in kann man inzwischen was verhandeln. Und doch habe ich in den letzten drei Jahren auch gemerkt, wie wichtig ein ganz anderer Punkt ist: Support während persönlicher Krisen!

Wir haben mit der Coronapandemie einen tödlich an Krebs erkrankten Stiefvater auf seinem letzten Weg begleitet, ihn gepflegt und versucht für schöne Momente neben unzähligen schlechten zu sorgen. Uns um meine Mutter gekümmert, die ihren Verlust lange nicht begreifen konnte. Wir haben pünktlich mit der Coronapandemie auch noch einen Großvater in die Demenz begleitet, auch ihn unterstützt und für ein Höchstmaß an Gewohnheiten gesorgt, bis wir ihn nun vergangene Woche doch abrupt ins Heim geben mussten. Daneben versucht, auch das eigene Leben nicht zu vernachlässigen.

Das war alles so tough die letzten Jahre. Und ohne den Support von Kolleg*innen wäre das unglaublich viel frustrierender gewesen. Kurzfristig einen Termin verschieben, kein Problem. Spontan Urlaub einreichen, kein Problem. Dringende Aufgaben notgedrungen abgeben, kein Problem. Mir wurde so krass der Rücken freigehalten. DANKE t3n Magazin-Team!

Ich habe zuletzt wirklich spannende Angebote ausgeschlagen, von Unternehmen, von denen ich mir nie hätte träumen lassen, dass sie sich überhaupt für mich interessieren würden. Als ostdeutsches Wendekind einer Arbeiterfamilie geht man nicht gerade super selbstbewusst in die Arbeitswelt hinaus. So gut wie alle, denen ich das erzählte, runzelten die Stirn und sprachen von vertanen Chancen. Ich sehe das nicht so. (…)“

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Für pflegende Beschäftigte kann die Erwerbsarbeit im Idealfall zu einer Ressource werden: Neben der finanziellen Perspektive bietet sie u. a. die Chance, die eigenen Kompetenzen in einem anderen Bereich als der Pflege einzubringen und zu entwickeln, soziale Kontakte zu pflegen und einen Ausgleich zum Pflegealltag herzustellen (Jacobs et al., 2021).

Wie Unternehmen unterstützen können

Pflegebedürftigkeit kommt oft überraschend. So auch im Fall der Tochter von Mirko Pütz, bei der 2012 ein Tumor in der Brust festgestellt wurde. Bei der darauffolgenden OP der damals 9-jährigen mussten 5 Rippen und ein Teil der Lunge entfernt werden, wonach sie wochenlang künstlich beatmet wurde. Die Familie wusste lange nicht, ob sie es schafft. Mirko Pütz, der damals im Schichtdienst der kriminalpolizeilichen Sofortbearbeitung eingesetzt wurde, und seine freiberuflich tätige Frau wollten rund um die Uhr für ihre Tochter da sein und wechselten sich gegenseitig ab. Die Großeltern sprangen bei der Betreuung des etwas älteren Sohnes ein. Das die Situation für pflegende Beschäftigte nicht nur körperlich, sondern auch psychisch hochbelastend sein kann, braucht sicher nicht extra erwähnt werden. Mirko Pütz beispielsweise wurde in der Akutphase aufgrund psychischer Belastungen für ein halbes Jahr krankgeschrieben (das Interview mit Mirko Pütz finden Sie im ZQP-Themenreport, 2016 ab S. 159).

Ein Kind mit einer Drainage am Handgelenk greift nach einem Spielzeugauto.

Pflegebedürftigkeit kann jede:n treffen, Kinder wie Erwachsene, und tritt häufig überraschend ein – auch darum lohnt es sich, nicht erst im Ernstfall eine Vereinbarkeitsstrategie im Unternehmen zu entwickeln (Foto: Hugo – stock.adobe.com)

Um auf Situationen wie diese vorbereitet zu sein, empfiehlt es sich für Unternehmen, schon vor dem Ernstfall eine Strategie für diesen zu entwickeln. Das BMFSFJ bietet in seiner kostenfreien Broschüre „Pflegende Beschäftigte brauchen Unterstützung“ (2021) dafür die Checkliste „Pflegesensible Unternehmenskultur“:

  • Fragen Sie Ihre Beschäftigten. Machen Sie den Unternehmens-Check.
  • Überprüfen Sie bestehende Vereinbarkeitsangebote auf ihre Einsatzmöglichkeiten in Pflegesituationen.
  • Definieren Sie den Begriff „Pflege“ für Ihr Unternehmen.
  • Entwickeln Sie ein pflegesensibles Leitbild.
  • Schulen Sie Führungskräfte und Betriebsräte.
  • Integrieren Sie das Thema Pflege in Mitarbeitergespräche, Strategie- und Personalrunden.
  • Schaffen Sie eine pflegesensible Gesprächskultur.
  • Entwickeln Sie konkrete Angebote für Ihre pflegenden Beschäftigten.

Zu jedem Punkt enthält die Broschüre detaillierte Infos und Hinweise zur Umsetzung. Es empfiehlt sich beispielsweise, im Unternehmen Ansprechpersonen zu benennen und diese als betriebliche Pflegelotsen schulen zu lassen. Arbeitszeitmodelle sollten definiert werden und es sollte überlegt werden, welche Möglichkeiten es in einer akuten Pflegesituation gäbe (z. B. Sonderurlaub, Überstundenabbau, variable Arbeitszeitgestaltung, vorübergehende Reduktion der Arbeitszeit, mobiles Arbeiten, die Möglichkeit, wichtige Telefonate am Arbeitsplatz führen zu können). Auch Kolleginnen und Kollegen sollten einbezogen und Vertretungsregelungen in Teams klar definiert werden. Im Akutfall sollte jedoch auch darauf geachtet werden, dass die anfallende Mehrarbeit im Team gerecht verteilt wird und nicht nur an der stellvertretenden Person „hängenbleibt“.

Danksagung

Wir danken Andreas Weck für die Erlaubnis, aus seinem LinkedIn-Beitrag zu zitieren.

Literaturliste zum Download

(Text: Anja Wermann, Redaktion WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE aktuell)

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