Heureka! Wie Sie Aha-Erlebnisse im Coaching fördern

Durch Aha-Erlebnisse erkennen wir urplötzlich, wie wir ein Problem meistern können. Schon länger beschäftigt sich die Wissenschaft mit der Entstehung solcher "Geistesblitze" und liefert nützliche Anregungen zur Förderung neuer Einsichten im Coaching.

Wir alle kennen diese Augenblicke: Plötzlich ergibt alles Sinn und man fragt sich, warum man nicht früher darauf gekommen ist. Solche Aha-Erlebnisse oder "Geistesblitze" entstehen schnell und überraschend und sind mit starken Gefühlen der Freude verbunden. Im Englischen spricht man von "eureka! Moments", weil Archimedes angeblich in einer Badewanne sitzend das archimedische Prinzip entdeckt hatte und nackt "Heureka!" rufend durch die Stadt lief.

Im Coaching sind neue Einsichten laut Erik de Haan und Christiane Nieß (2015) besonders eindrücklich, weil sie die Klient*innen einen großen Sprung voranbringen können.

Wie entstehen Aha-Erlebnisse?

Aha-Erlebnisse treten auf, wenn die Erfüllung eines Bedürfnisses zunächst misslingt, dann aber ein Hinweis von außen eine kognitive Umstrukturierung anstößt. Eine neue Einsicht wird erlangt und positiv erregt erreicht man das Ziel.

Auch ohne einen Anstoß durch andere kann ein Umdenken erfolgen, Kreativitätstechniken sind dafür hilfreich. Im Coaching können Sie Klient*innen z. B. fragen, ob sich das Problem aus einer anderen Perspektive betrachten lässt, oder ob sie Analogien in anderen Bereichen finden.

Nudging

Sie können Klient*innen nicht zu neuen Einsichten zwingen, aber sie mit kleinen Hinweisen auf die richtige Spur bringen. So ein Anstupsen bezeichnen Thaler und Sunstein (2008) als "Nudging", wobei Nudges Stimuli sind, die Verhaltensänderungen anstoßen, ohne die Entscheidungs- oder Wahlmöglichkeiten einzuschränken. Im Coaching fungieren zum Umdenken anregende Fragen oder Denkanstöße als Nudges.

Wodurch werden neue Einsichten verhindert?

Ein wichtiges Hindernis für neue Einsichten ist die "funktionale Fixierung", also die Beschränkung von Gedanken und Handlungen auf die gewohnten Muster. Im Coaching erkennen Klient*innen dann z. B. nicht, dass sie bereits bewährte Lösungsstrategien abgewandelt auch in der aktuellen Situation nutzen können. Deshalb ist es wichtig, auf solche funktionalen Fixierungen zu achten und den Klient*innen zu helfen, unbeachtete Ressourcen zur Problemlösung zu erkennen.

Wie lassen sich neue Einsichten fördern?

Der Neurowissenschaftler Marcus E. Raichle hat erkannt, dass unser Gehirn im Ruhezustand eine vergleichbar hohe Aktivität zeigt, die sich von der Aktivität beim hoch konzentrierten Arbeiten unterscheidet. Diesen Ruhezustand nannte er "default mode network" und er nahm an, dass er Einsichten ohne bewusste Anstrengung ermöglicht. Im Coaching sollten die Klient*innen daher in einen ruhigen und entspannten Zustand gebracht werden, damit sie einen besseren Zugang zu ihrem Erfahrungswissen erhalten. Folgende Punkte sind hierfür relevant:

  1. Die richtige Umgebung. Es ist problematisch, wenn Coachings im Unternehmen stattfinden, weil die Büroumgebung im Gehirn konzentriertes analytisches Arbeiten aktiviert, was das "default mode network" blockiert. Wählen Sie besser eine Umgebung, die mit Kreativität, Innovation oder Entspannung verbunden ist, oder gehen Sie spazieren. Wenn das Coaching in Ihren Räumen stattfindet, sollte der Raum nicht an Büroräume erinnern.
  1. Virtuelles Coaching. Im Online-Meeting sehen Sie nur einen kleinen Ausschnitt Ihres Gegenübers. Trotzdem können Sie Ihre Klient*innen einladen, den Blick auf ein entspannendes Bild zu richten, das Sie zeigen. Auch können Sie dazu animieren, sich für das Coaching aus dem Büro zu entfernen und arbeitsbezogene Software vorübergehend zu schließen.
  1. Bringen Sie Ihre Klient*innen in den "default mode". Beginnen Sie mit einer kurzen geführten Meditation oder mit dem Notieren anstehender To-Dos, damit diese während der Sitzung nicht durch den Kopf geistern.

Verzwickte Probleme loszulassen, sowohl räumlich als auch gedanklich, erleichtert den Zugang zu Lösungen. 

Auch bereits bekannte Coachingmethoden sind für die Emergenz neuer Einsichten von Nutzen, z. B. die Methoden "Time to Think", die "Wunderfrage" und zirkuläres Fragen.

"Time to Think"

Bei "Time to Think" von Nancy Kline (1999) stellen Coaches nach der Klärung des Coaching-Ziels wiederkehrend dieselbe Frage: "Gibt es noch etwas mehr, das Sie denken, fühlen oder sagen wollen?", gefolgt von teils minutenlanger Stille. Die wiederholten Fragen und die Stille bilden zusammen einen Nudge, der ein Gefühl von Sicherheit und ruhiges Nachdenken ermöglicht. So steigen die Chancen, in den "default mode" zu kommen und neue Einsichten zu haben.

Die "Wunderfrage"

Die "Wunderfrage" der Lösungsfokussierten Therapie nach de Shazer und Dolan (2008) lautet im Coaching: "Stellen Sie sich vor, eine Fee besucht Sie über Nacht, und am nächsten Tag ist alles so, wie Sie es sich wünschen …" Durch dieses Reframing können Klient*innen ihre Fixierung auf das Problem lösen und ihr Erfahrungswissen freier nutzen.

Zirkuläres Fragen

Durch zirkuläres Fragen können im Coaching neue Einsichten über die Reflektion von Konflikten und anderen Interaktionen gefördert werden. Klient*innen reflektieren dabei die Situation, vollziehen die Gedanken und Gefühle der anderen Person(en) nach und ergründen, welche Empfindungen und Gedanken bei ihnen selbst ausgelöst wurden. Während dieses Prozesses entstehen häufig Aha-Erlebnisse wegen der Perspektivwechsel. Wird Klient*innen ihr eigener Anteil am Verhalten der anderen bewusst, können sich Fixierungen lösen, was als wichtige neue Einsicht erlebt wird.

Wissenschaftliche Erkenntnisse in der Praxis nutzen

Die genannten psychologischen und neurowissenschaftlichen Erkenntnisse können Sie gezielt zur Begünstigung von Aha-Erlebnissen im Coaching nutzen: durch Gestaltung einer für offenes und ruhiges Denken günstigen Umgebung, durch reflexives Fragen, Erkennen von Fixierungen und Nudging-Anstöße zum gedanklichen Umstrukturieren und Perspektivwechsel.

Literatur

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