Emotionale Kompetenz lässt sich trainieren

Emotionale Kompetenz ist für viele Lebensbereiche unerlässlich. Aber lässt sie sich auch nachweislich trainieren? Ilios Kotsou und seine Forscherkolleg:innen haben einen Monat lang Erwachsene in den wesentlichen emotionalen Vorgängen trainiert: Wahrnehmen, Verstehen, Steuern, Ausdrücken und Nutzen von Gefühlen. Und das überaus erfolgreich. Selbst ein Jahr nach Trainingsende waren die Trainierten emotional kompetenter, zufriedener, stressresistenter und hatten weniger körperliche Beschwerden sowie geringere Cortisolwerte als die Teilnehmenden der Kontrollgruppe.

Emotionale Kompetenz

Emotionale Kompetenz ist wichtig. Besonders in kritischen Situationen ist es entscheidend, ob wir unsere Gefühle richtig einordnen und gut mit ihnen umgehen können. In vielen Studien hat sich gezeigt, dass sie zur geistigen und körperlichen Gesundheit beiträgt, zu besserer Arbeitsleistung führt und zwischenmenschliche Beziehungen stärkt. Ein kluger Umgang mit Gefühlen schützt vor Stress, Depressionen und Burnout und verhilft zu mehr Lebenszufriedenheit. Im Unternehmen puffert Gefühlskompetenz Konflikte ab und hilft Mobbing vorzubeugen.

Die entscheidende Frage ist, ob man diese grundlegende Kompetenz auch noch im Erwachsenenalter trainieren kann, in dem der Gefühlshaushalt mehr oder weniger festgezurrt ist. Die Schwemme von Emotionstrainings auf dem Markt legt dies nahe. Ihr Problem ist jedoch, dass sie meistens weder inhaltlich noch methodisch validiert sind. Ihre Trainingseinheiten beruhen weder auf Wirksamkeitsstudien noch ist ihre mittel- und langfristige Wirksamkeit erbracht.

Ilios Kotsou von der Université Catholique de Louvain in Belgien und seine Kolleg:innen greifen in ihrer Studie im Journal of Applied Psychology diese Schwachpunkte auf. Sie haben ein Training emotionaler Kompetenz für Erwachsene entwickelt, das auf vielen bisherigen Trainingsstudien beruht. Und sie haben die Wirksamkeit ihres Trainings auch noch ein Jahr nach Trainingsende untersucht. Außerdem haben sie objektive Daten zur Evaluation herangezogen, was in den meisten Wirksamkeitsstudien ebenfalls fehlt.

Emotionale Kompetenz ist das Vermögen, eigene Gefühle und die Gefühle anderer zu wahrzunehmen, zu verstehen, auszudrücken, zu steuern und zu nutzen. Sie bezieht sich auf die Bereiche Emotionswissen (Beispiel: man weiß, was Angst ist), Anwendungswissen (man weiß, dass es ein wirksamer erster Schritt ist, die Angst als solche zu akzeptieren) und überdauerndes Wesensmerkmal (es ist einem zur Gewohnheit geworden, in den meisten Situationen gut mit der eigenen Angst umzugehen).

Den Forscher:innen war daran gelegen, Wahrnehmung, Verständnis, Ausdruck, Steuerung und Nutzung von Gefühlen so zu trainieren, dass die damit verbundenen Kompetenzen langsam zur Gewohnheit und damit zum Wesensmerkmal werden konnten.

Die Wirksamkeitsstudie

An der Wirksamkeitsstudie nahmen 132 Personen teil (Durchschnittsalter: 38 Jahre), die durch Anzeigen in der Zeitung und im Internet zum Mitmachen angeregt wurden. 72 Teilnehmende wurden der Trainingsgruppe zugewiesen und 60 der Wartekontrollgruppe, die zunächst nicht trainiert wurden. Sie erhielten ihr Emotionstraining nach dem Durchlauf der Trainingsgruppe.

Vor dem Training, direkt danach und ein Jahr nach Trainingsende wurden folgende Wirksamkeitsmaße erhoben (S. 830ff.):

  • Emotionale Kompetenz. Sie wurde mit dem Trait Emotional Intelligence Questionnaire gemessen. Ein Item darin lautete beispielsweise: „Ich halte öfters inne, um über meine Gefühle nachzudenken.“ Dieser Fragebogen wurde auch an eine:n Freund:in oder den bzw. die Lebenspartner:in der Teilnehmenden gegeben, um damit ein objektives Maß zu erhalten.
  • Lebenszufriedenheit. Sie wurde mit der Satisfaction With Life Scale erfasst. Eine Beispielfrage darin: „Ich bin mit meinem Leben zufrieden.“
  • Wahrgenommener Stress. Dieser wurde mit der Perceived Stress Scale erfasst. Beispielfrage: „Wie oft hatten Sie im letzten Monat den Eindruck, dass sie nicht alle Dinge geschafft haben, die anlagen?“
  • Körperliche Beschwerden. Im Pennebaker Inventory of Limbic Languidness wurde die Häufigkeit körperlicher Symptome erhoben, zum Beispiel Schnupfen oder Kopfschmerzen.
  • Qualität der Beziehungen. Mit der Quality of Interpersonal Relationships Scale wurde die Beziehungsqualität abgeklopft: „Ich bin mit meinen Beziehungen zufrieden.“ Diesen Fragebogen erhielt ebenfalls der bzw. die Lebenspartner:in oder der bzw. die Freund:in der Teilnehmenden.
  • Cortisolwerte. Vor und nach dem Training gaben die Teilnehmenden jeweils über einen Tag verteilt fünf Speichelproben ab, die im Labor auf den Stressmarker Cortisol untersucht wurden.

Das Training emotionaler Kompetenz

Das Training emotionaler Kompetenz bestand aus einem Emotionstraining, einer onlinegestützten Nachbereitungsphase und einer Diskussionsrunde in der Mitte dieser Nachbereitungszeit.

Das Emotionstraining lief an zwei aufeinanderfolgenden Tagen mit insgesamt 12 Trainingsstunden in Kleingruppen ab. Vor allem verhaltensorientierte Lernformen wurden eingesetzt: Gruppendiskussion, Rollenspiele, Selbsterfahrung. Das Training umfasste folgende Einheiten:

  • Wahrnehmen. Die Vorgänge erkennen und beobachten, die bei Gefühlen beteiligt sind: Auslöser in der Umgebung, eigene Grundannahmen, Gedanken, die Gefühle selbst und das Verhalten.
  • Verstehen. Die Wirkungszusammenhänge zwischen diesen Vorgängen verstehen. Nach dem Modell der Autoren lösen Umgebungsreize eine Bewertung aus, die von eigenen Zielen und Bedürfnissen gelenkt ist. Diese Bewertung führt zu gefühlsspezifischen Gedanken und Empfindungen und diese wiederum zu Verhaltensweisen oder Absichten, mit denen die Umgebungsreize gesteuert werden.
  • Steuern. Verschiedene Strategien zur Emotionssteuerung kennen lernen und kontextabhängig einsetzen. Ein Beispiel dafür war die Kultivierung positiver Gefühle, die auch in stressigen Zeiten zu einem Steuerungsanker wurden.
  • Ausdrücken. Eigene Gefühle ausdrücken und die ausgedrückten Gefühle anderer wahrnehmen. Hierbei wurde versucht, Gefühle so auszudrücken, dass sie den eigenen Bedürfnissen entsprachen und der jeweiligen Situation angemessen waren.
  • Nutzen. Gefühle aktiv nutzen, um eigene Bedürfnisse und Ziele deutlich zu machen. Das wurde in der Kleingruppe in möglichst lebensechten Rollenspielen trainiert.

Auf das Emotionstraining folgte eine vierwöchige onlinegestützte Nachbereitungsphase. In dieser erhielten die Teilnehmenden pro Woche zwei E-Mails, in denen sie angeregt wurden, bestimmte Trainingsinhalte weiterhin zu üben. So lautete eine Instruktion sinngemäß (S. 830): „Schauen Sie sich die nächste Situation genauer an, in denen Sie Gefühle erleben. Beobachten Sie, was in Ihnen vorgeht und versuchen Sie, diese Vorgänge genau zu beschreiben: Welche körperlichen Veränderungen nehmen Sie wahr? Welche Gedanken haben Sie? Welche Gefühle können Sie benennen? Und was haben Sie für Verhaltensabsichten?“

Zwei Wochen nach dem Zweitagestraining und in der Mitte der Nachbereitungsphase gab es eine dreistündige Diskussionsrunde. In dieser tauschten sich die Teilnehmenden darüber aus, wie sie ihre emotionale Kompetenz bisher einsetzen konnten und welche Fortschritte sie dabei erzielten. Der Trainer gab dazu Feedback, und es wurden Skripte verteilt, in denen das bisher Gelernte zusammengefasst war.

Klare Wirksamkeit kurz- und langfristig

Sowohl direkt nach dem Training als auch noch ein Jahr später verbesserten sich die Teilnehmenden in allen Wirksamkeitsbereichen spürbar und deutlich. Die Teilnehmenden (und ihre Partner:innen) berichteten über mehr emotionale Kompetenz (11 % mehr), mehr Lebenszufriedenheit (12 %), weniger Stress (24 %), weniger körperliche Beschwerden (15 %), qualitativ höherwertige Beziehungen (bis zu 14 %) und geringere Cortisolwerte (um durchschnittlich 15 %). Bei der Kontrollgruppe blieben im Vergleichszeitraum fast alle Werte gleich.

Erstaunlich ist vor allem, dass die Teilnehmenden so deutlich ihren Stress abbauen konnten und Veränderungen auf körperlicher Ebene objektiv nachweisbar waren. An den gesunkenen Cortisolwerten zeigt sich, dass lediglich durch ein Training und ohne Arzneimittel das Hormonsystem neu ausgerichtet werden konnte.

Die Forscher:innen haben mit ihrer Studie drei wichtige Erkenntnisse untermauert:

  1. emotionale Kompetenz lässt sich auch bei Erwachsenen, deren Gefühlshaushalt schon ziemlich gefestigt und eingefahren ist, gut trainieren,
  2. Emotionstraining macht zufriedener und stressresistenter und
  3. ein einmonatiges Training wirkt über einen Zeitraum von einem Jahr.

Ilios Kotsou und seine Kolleg:innen sprechen schließlich „die vielen Einsatzmöglichkeiten dieser Intervention im Gesundheits- und Bildungsbereich und in organisationalen Settings“ an (S. 835). Das Training könnte vor allem helfen Burn-out vorzubeugen und Mitarbeitende unterstützen, deren Gefühlsarbeit besonders beansprucht wird, wie zum Beispiel Verkäufer:innen.

Literatur

Ilios Kotsou, Delphine Nelis, Jacques Grégoire and Moïra Mikolajczak. (2011). Emotional Plasticity: Conditions and Effects of Improving Emotional Competence in Adulthood (Abstract). Journal of Applied Psychology, Vol. 96, No. 4, 827-839.