Coaching: Weniger ist mehr

Risiko Coaching

Carsten Schermuly ist Professor für Wirtschaftspsychologie an der SRH Hochschule Berlin. Zusammen mit drei Forscherkolleginnen hat er negative Effekte von Businesscoaching untersucht. Die Ergebnisse sind in der Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie abgedruckt.

In Deutschland arbeiten ca. 8.000 Coaches, Tendenz steigend. Umso wichtiger ist es, damit verbundene Risiken zu sehen. Dazu gehören negative Effekte von Coaching, die die Forscher „als alle für den Klienten schädlichen bzw. unerwünschten Folgen“ definieren, „die unmittelbar durch das Coaching verursacht werden und parallel dazu oder im Anschluss auftreten“ (S. 19). 

Diese negativen Folgen sind vom Erfolg des Coachings zu unterscheiden. Ein Coaching kann erfolgreich sein, aber negative Folgen haben (Beispiel: das Coachingziel der Leistungssteigerung wird erreicht, aber die Person wird unzufriedener im Job). Oder es kann erfolglos sein und zusätzlich negative Folgen zeitigen (die Leistungssteigerung bleibt aus, überdies nimmt die Unzufriedenheit zu).

123 Coaches befragt

Die Forscher führten eine Vorstudie und eine Onlinestudie durch. In der qualitativen Vorstudie wurden 21 Coaches telefonisch zu möglichen negativen Auswirkungen des Coachings und deren Ursachen befragt. Mit Hilfe der Antworten erstellte das Team um Carsten Schermuly den Fragebogen für die Onlinestudie.

An der Onlinestudie nahmen 123 Coaches teil, die Coachings zur Personalentwicklung anbieten. Sie sollten das letzte abgeschlossene Coaching einschätzen, das länger als drei Sitzungen dauerte. Die Coaches machten dabei Angaben zu (S. 22):

  • Häufigkeit und Dauer zu vordefinierten negativen Effekten (Beispiel: „Durch das Coaching wurden beim Klienten/bei der Klientin tiefergehende Probleme angestoßen, die nicht bearbeitet werden konnten.“)
  • Ursachen, die die Coaches für die negativen Effekte sahen (Beispiel: „Der negative Effekt/die negativen Effekte waren darauf zurückzuführen, dass der Klient/die Klientin wenig Problembewusstsein hatte.“)
  • Art und Häufigkeit der behandelten Themen (Beispiel: „Begleitung in Umbruchsituation“)
  • Erfolg des Coachings aus eigener Sicht und aus der angenommenen Sicht des Klienten
  • ihrer Coachingausbildung

Häufig negative Effekte

Bei jedem Coaching gab es zwei negative Effekte. Mindesten ein negativer Effekt trat in 57 Prozent aller 123 Coachingprozesse auf. Durchschnittlich waren es zwei negative Effekte pro Coaching. Die häufigsten negativen Effekte:

  • tiefergehende Probleme des Klienten wurden angestoßen, die nicht bearbeitet werden konnten (26 Prozent)
  • ursprüngliche Ziele wurden abgewandelt, ohne dass der Klient es wollte (17 Prozent)
  • der Klient erlebte seine Arbeit als weniger bedeutsam (17 Prozent)
  • die Beziehung zum Vorgesetzten verschlechterte sich (14 Prozent)
  • die Arbeitszufriedenheit des Klienten nahm ab (13 Prozent)
  • die Arbeitsleistung des Klienten schwankte mehr (13 Prozent)
  • der Klient entwickelte ein stärkeres Abhängigkeitsverhältnis zum Coach (12 Prozent)

Am häufigsten wurden diese Effekte als kurzfristig eingestuft, d. h. sie hielten weniger als vier Wochen an. Einzig die tiefergehenden Probleme wurden von den meisten Coaches als langfristig angesehen, d. h. sie dauerten länger als vier Wochen.

Die Coachings wurden insgesamt als sehr erfolgreich eingeschätzt. Trotz negativer Effekte wurden die Coachings durchschnittlich aus Sicht des Coaches und aus (angenommener) Sicht des Klienten auf der zweithöchsten Stufe mit „sehr erfolgreich“ eingeschätzt.

Coaches sahen die Ursache für negative Effekte beim Klienten und in Rahmenbedingungen. Am häufigsten wurden die Ursachen beim Klienten gesehen (32 Prozent aller abgegebenen Ursachenzuschreibungen). Außerdem wurden Rahmenbedingungen oft genannt. Die am häufigsten genannten Ursachen für unerwünschte Folgen waren:

  • es stand nicht genügend Zeit zur Verfügung (24 Prozent)
  • der Klient hatte wenig Problembewusstsein (23 Prozent)
  • der Klient hatte falsche Erwartungen bezüglich des Coachings (20 Prozent)
  • der Klient war vor dem Coaching psychisch erkrankt (18 Prozent)
  • es standen nicht genügend finanzielle Mittel zur Verfügung (18 Prozent)
  • zu wenig oder zu unpräzise Diagnostik wurde betrieben (17 Prozent)
  • der Klient hatte kein konkretes Coachingziel (16 Prozent)

Häufig sah der Coach die Ursachen der negativen Folgen also nicht bei sich selbst, sondern in externen Faktoren. Das könnte ein Hinweis auf einen Attributionsfehler sein: man negative Folgen schreibt man eher anderen zu, um sein eigenes Selbstbild nicht zu beschädigen.

Die Coachingausbildung bestimmte nicht die Nebenwirkungen. Ob ein Coach eine Coachingausbildung hatte oder nicht, wirkte sich statistisch nicht auf die unerwünschten Folgen aus. In beiden Gruppen gab es ähnlich viele negative Effekte.

Je mehr Themen im Coaching behandelt wurden, desto mehr negative Effekte gab es. Durchschnittlich wurden in acht Sitzungen sechs Themen behandelt. Statistisch signifikant war der Zusammenhang zwischen Themenanzahl und Nebenwirkungen: Je mehr Themen bearbeitet wurden, desto mehr unerwünschte Folgen gab es. Die Themen, die am häufigsten behandelt wurden, waren (mit Mehrfachnennung):

  • Begleitung in Umbruchsituationen (62 Prozent)
  • Persönlichkeitsentwicklung (55 Prozent)
  • Reflexion der eigenen beruflichen Rolle (55 Prozent)
  • Führungsstil (40 Prozent)
  • Karriereentwicklung (36 Prozent)
  • persönliche Motivation (35 Prozent)
  • zwischenmenschliche Probleme mit dem Vorgesetzten (28 Prozent)

Erfolg bei weniger Nebenwirkungen

Obwohl die Coachings erfolgreich waren, kam es in den meisten Fällen zu ungünstigen Nebenwirkungen. Die Forscher fordern daher, sich künftig nicht nur den Coachingerfolg anzusehen, sondern auch die negativen Folgen, mit denen er „erkauft“ wird (S. 27):

„In unserer Untersuchung zeigt sich zudem, dass die Coaches ihre Arbeit als sehr erfolgreich einschätzen, doch muss die Kosten-Nutzen-Relation ggf. überdacht werden. Coaching scheint trotz der gewünschten Wirkungen gleichzeitig auch negative Effekte zu produzieren. Erstrebenswert ist aber eine Intervention, die wirkt und gleichzeitig möglichst wenig negative Wirkungen erzielt. Ein Coaching, durch das es einem Mitarbeiter gelingt, eine Umbruchsituation erfolgreich zu bewältigen (häufigster Coachinginhalt), ist erfolgreich. Noch günstiger wäre es aber, wenn dieser Erfolg erreicht wird, ohne dass tiefergehende Probleme angestoßen werden, die nicht bearbeitet werden können (häufigster negativer Effekt).“

Die Studienergebnisse könnten genutzt werden, um angehende Coaches in einer Ausbildung für negative Effekte zu sensibilisieren. Für zukünftige Nebenwirkungsforschung ist es notwendig, unbedingt auch die Coachees zu befragen.

Literatur

Carsten Christoph Schermuly, Marie-Luise Schermuly-Haupt, Franziska Schölmerich & Hannah Rauterberg (2014). Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie … – Negative Effekte von Coaching (Abstract). Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, 58 (1), 17-33.